Ludwig Feuerbach und Konrad Deubler

 

 


Leonore Feuerbach über ihren Vater und K. Deubler im BR 2
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Dr. Dr. Joachim Kahl (Marburg)

Der Kreis um Konrad Deubler

Ludwig Anzengruber, Ludwig Feuerbach,

Ernst Haeckel, David Friedrich Strauß

Österreichs Beitrag zur Menschheitskultur umfaßt nicht nur jenen heiteren Beitrag zur Lebenskunst und Lebensfreude, der sich in ebenso erlesenen wie volkstümlichen Meisterwerken der Musik, der Literatur und Architektur ausdrückt.

Österreich hat auch einen überragenden Beitrag zur geistig-weltanschaulichen Aufklärung, zum Freidenkertum im engeren Sinne geleistet. Bekannt ist Sigmund Freuds psychoanalytische Entzauberung der Religion als einer kollektiven Illusion, die einem infantilen Entwicklungsstadium der Menschheit angehöre.

Weniger bekannt ist, daß auch Bertha von Suttner, die bewundernswürdige Friedensnobelpreisträgerin von 1905, nicht nur den Rüstungswahn bekämpfte, sondern auch eine engagierte Freidenkerin war. In ihrem Testament heißt es: "Ich bin Mitglied der ‘Flamme’, und meine Erklärung, daß ich eingeäschert zu werden wünsche, ist dort deponiert. Ich verlange, nach Gotha überführt zu werden. ... Ich sterbe, wie ich gelebt, als überzeugte Freidenkerin. Ich habe nie Glauben geheuchelt und will auch keine Heuchelei nach dem Tode." (Bertha von Suttner, Lebenserinnerungen, Berlin (DDR), 1970, 3. Aufl., 560.)

Diesen Weltrang und Weltruhm als Wohltäter der Menschheit vom Format einer Bertha von Suttner und eines Sigmund Freud hat Konrad Deubler, Landwirt, Gastwirt und Bäcker in Bad Goisern, nicht erlangt. Gleichwohl lohnt es sich, seiner zu gedenken und das Ungewöhnliche, ja Erstaunliche seines Lebens wach zu halten. Deshalb Dank an die Marktgemeinde von Bad Goisern, daß sie das Andenken ihres früheren Bürgermeisters wahrt und ehrt. Dank an den Freidenkerbund Österreichs, daß er diesen autodidaktischen Kopf, Freund Ludwig Feuerbachs und Ernst Haeckels, historisch würdigt.

Unter schwierigen und beengten Lebensumständen hat Konrad Deubler als kultureller Multiplikator eigener Art gewirkt. Aus intellektueller Neugierde, aus Bildungshunger nahm er brieflichen Kontakt mit führenden Geistern seiner Zeit auf, lud sie nach Bad Goisern ein, besuchte sie selber und verbreitete im kleinen Gesprächskreis ihre Ideen, soweit sie ihn selbst ergriffen hatten.

Damit weitete er seinen geistigen Horizont und vertiefte seine menschlichen Möglichkeiten weit über das Maß hinaus, das in seiner gesellschaftlichen Herkunft in jener Zeit angelegt war. Als Leser Friedrich Schillers hat Konrad Deubler diesen seinen geistigen Zugewinn sich selbst mit den bekannten Worten aus dem Wallenstein-Prolog verdeutlicht:

"Denn nur der große Gegenstand vermag

den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen;

im engen Kreis verengert sich der Sinn,

es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken."

 

(Etwas verändert zitiert im Brief an Robert Kummer, in: Konrad Deublers Briefwechsel, hg. v. Arnold Dodel-Port, Leipzig, 1886, 3. Alle weiteren Briefzitate, nur mit Seitenzahl, daraus.)

An welchen größeren Zwecken ist Konrad Deubler gewachsen? Was ist sein geistiges, sein charakterliches Profil? Die Menschheit verdankt ihm keinen eigenen neuartigen, schöpferischen Beitrag zu irgendeinem Problem. Deublers Bedeutung besteht darin, daß er – auf der Grundlage geringer schulischer Elementarbildung – in einer damals abgeschiedenen Alpenregion seine dörfliche Enge durchbrochen hat. Wie hat er die dörfliche Enge durchbrochen?

Als Büchernarr, als idealer Leser, als dankbarer und wißbegieriger Resonanzträger, als menschliches Echo – "aus den untersten Schichten der menschlichen Gesellschaft", wie er an Ludwig Feuerbach schrieb – hat er ein verblüffendes Gespür für die geistigen Umwälzungen seiner Zeit entwickelt.

Deublers Dankbarkeit gegenüber den Autoren wurde von diesen ihrerseits ebenso dankbar erwidert. So gestattet seine Korrespondenz einen aufschlußreichen Einblick in die Lese- und Briefkultur des 19. Jahrhunderts. Indem Deubler mit David Friedrich Strauß, mit Ludwig Feuerbach, mit Ernst Haeckel korrespondiert, nimmt er teil an den großen Debatten einer wichtigen Epoche der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte. Er nimmt teil – rezeptiv, nicht kreativ – an der Unterminierung der Glaubwürdigkeit der christlichen Religion durch D. F. Strauß und L. Feuerbach. Er nimmt teil – akklamativ, nicht innovativ – an der Entwicklung der Evolutions- und Deszendenztheorie des "deutschen Darwin", des Jenaer "Affenprofessors" Ernst Haeckel.

Er nimmt teil gedanklich, aber auch praktisch, insofern er – in den fünfziger Jahren – Opfer wird spätabsolutistischer Repression und Intoleranz. Gewiß, er wurde nicht mehr als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Gewiß, nicht sein gesamtes Eigentum wurde konfisziert, sondern nur seine aufklärerisch-religionskritischen Bücher. So wurde er ins Gefängnis geworfen und aus der Heimat verbannt wegen Religionsstörung durch Verbreitung verbotener antichristlicher Bücher und wegen Hochverrats durch Lob der Demokratie in den USA. Erinnern wir uns stets daran, daß der heutige Genuß der Glaubens-, Gewissens- und Gedankenfreiheit schwer erkämpft werden mußte gegen das Bündnis von Thron und Altar.

Werfen wir jetzt einen kurzen Blick auf zwei charakteristische Briefe Konrad Deublers an Ludwig Feuerbach und Ernst Haeckel. Aus ihnen geht sehr schön Deublers Selbstdeutung dieser Vorgänge und Zusammenhänge hervor.

Abdruck Briefe (Anlage)

Gemäß den vier Namen unseres Titels "Der Kreis um Konrad Deubler" lassen sich vier Felder in seinem Leben und in seinen Interessen unterscheiden:

· D. F. Strauß steht für eine historische Kritik am Christentum.

· Ludwig Feuerbach steht für die philosophische Kritik am Christentum und die Begründung eines humanistischen Atheismus.

· Ernst Haeckel steht für die naturwissenschaftliche Kritik am Christentum und die Begründung einer Weltanschauung des Monismus.

· Ludwig Anzengruber steht für die künstlerische Darstellung des einfachen Volkes, dem er die Bühne öffnete und dessen erwachendes Selbstbewußtsein er formulierte.

Gehen wir die vier Namen und die damit verbundenen vier Themenbereiche etwas genauer durch.

David Friedrich Strauß veröffentlichte 1835/36 in zwei Bänden "Das Leben Jesu kritisch bearbeitet" und leitete damit die Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts ein. Konrad Deubler schrieb ihm einen ebenso begeisterten wie dankbaren Brief, in dem er ihn zugleich bat, die aufwühlenden Ergebnisse seiner Studie allgemeinverständlich in einer volkstümlichen Ausgabe zusammenzufassen. Strauß folgte der Anregung und veröffentlichte wenig später "Das Leben Jesu. Leicht faßliche Bearbeitung", das 1864 unter dem Titel erschien: "Das Leben Jesu für das deutsche Volk".

Darin erschütterte Strauß nachhaltig die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft, indem er die neutestamentlichen Wundererzählungen, namentlich von Jesu Auferstehung, als Mythen und Legenden, als unbewußte Phantasieprodukte der Urgemeinde erklärte.

Zwischen Ludwig Feuerbach und Deubler entwickelte sich – im regen Briefwechsel und bei gegenseitigen Besuchen – eine anrührende Duzfreundschaft. Der bayrische Philosoph deutete die biblischen Gottesvorstellungen als Projektionen menschlicher Wünsche und Ideale. Damit ging er weit über die Religionskritik vornehmlich der französischen Aufklärung hinaus, die Religion nur als Irrtum und Betrug hatte entlarven wollen.

"Der Mensch schuf Gott nach seinem Bild" – so lehrte Feuerbach, und diese Aussage steht heute zu lesen auf dem Feuerbach-Denkmal in Nürnberg auf dem Rechenberg, dem einzigen Feuerbach-Denkmal überhaupt.

Deubler war begeistert von diese humanistischen Philosophie, die nach Feuerbachs klassischen Worten das Ziel hat, die Menschen "aus Gottesfreunden zu Menschenfreunden, aus Gläubigen zu Denkenden, aus Betern zu Arbeitern, aus Kandidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits, aus Christen ... zu Menschen, zu ganzen Menschen zu machen". (Schlußworte der Heidelberger Vorlesungen 1848/49 über das "Wesen der Religion")

Deubler hat in einer sehr prägnanten und anschaulichen Formulierung Feuerbachs bleibende Bedeutung einmal so charakterisiert: "Dieser Prometheus unseres Jahrhunderts, der nicht den göttlichen Funken, nein: Gott selbst auf die Erde, in seine Heimat zurückgeführt und ihm seine Wiege zum Grab gegeben hat - Feuerbach hat gewußt, was arm sein und was Elend ist. Sein Bild ist ein unauslöschliches Brandmal auf der Stirn unserer heutigen Kultur." (Brief an Schreitmüller, 12. Dez. 1882, 291)

Nach Feuerbachs Tod 1872 nahm der Jenaer Biologe Ernst Haeckel die Rolle der Leitfigur bei Deubler ein. Ernst Haeckel – großartig in seinen Leistungen, großartig in seinen Irrtümern – hat der Evolutionstheorie Charles Darwins in Deutschland zum Siege verholfen und sie auch allgemeinverständlich in populärwissenschaftlichen Darstellungen verbreitet. Er hat den Entwicklungsgedanken konsequent auf die Natur insgesamt angewandt. Er hat die Natur dynamisiert und historisiert und so die Welt ohne Gott, ohne Schöpfung, ohne Offenbarung, ohne Wunder erklärt.

Wandten sich kirchlich orientierte Kreise entrüstet von diesem geschlossenen naturwissenschaftlichen Weltbild ab, so war Deubler sehr empfänglich für die Faszination, die davon ausging. Die erheblichen philosophischen Mängel darin blieben ihm verborgen.

Nicht von ungefähr nannte Haeckel sein System Monismus, Einheitslehre. Er sah nur die Einheit in der Natur, nicht auch ihre Verschiedenheit. Ihm war alles eins, und zwar undifferenziert eins, so daß er zwischen der anorganischen und der organischen Natur keinen qualitativen Abstand sehen wollte.

Unter Berufung auf Spinoza verfiel Haeckel einer pantheistischen Konstruktion von der Allbeseeltheit der Natur, wonach bereits Atome und Moleküle beseelt, mit Geist behaftet seien. Damit ebnete er unter der Hand die Entwicklungsstufen wieder ein und erkannte nicht die qualitativen Sprünge in der Naturgeschichte, die die Entstehung des Lebens, die Entstehung des Bewußtseins und die Entstehung der menschlichen Gesellschaft bedeuten.

Unter Berufung auf Spinozas Parallelismus wähnte er jegliche Materie von Ewigkeit her mit Geist begabt und verdrängte damit den kosmischen Tatbestand der Seltenheit des Geistes und dessen spätes Auftreten. Geist benötigt zu seiner allmählichen und stets gefährdeten Herausbildung eine Fülle günstigster materieller Konstellationen (heute in der Fachsprache "Feinabstimmung" genannt) und einen Zeitraum von Milliarden Jahren.

Es verwundert nicht, daß Ernst Haeckel seine harmonistische Mystifikation von der Allgegenwart des Geistes in der Natur als neue "Religion" bezeichnete. Einige Schranken Deublers, über die abschließend noch zu sprechen sein wird, knüpfen hieran an.

Der vierte Themenbereich Deublers ist mit dem Namen des österreichischen Schriftstellers Ludwig Anzengruber verbunden. Die geistige Wahlverwandtschaft zwischen beiden wurde von Anzengruber in einem Brief so erklärt, daß beide ein "Herz" hätten für den einfachen Menschen: "ob in der Bauernjoppe oder im Arbeitskittel" (Brief von 3. April 1879, 285). Dem entspricht, daß Peter Rosegger, ein weiterer zeitgenössischer Autor Österreichs, mit dem Deubler in Verbindung stand, in Deubler "die Verkörperung eines allgemein vorhandenen, aber stets unterdrückten und sich selbst kaum bewußten Volksgefühls" sah (Brief vom 20. Juli 1882, 309).

Ebenso gehört in diesen Zusammenhang die Fühlungnahme zwischen Minna Kautsky und Deubler. Die Schriftstellerin Minna Kautsky, Mutter des später bedeutenden marxistischen Theoretikers Karl Kautsky, besucht Deubler in Bad Goisern, um ihn nach seinen persönlichen Erfahrungen im Kampf gegen staatliche und kirchliche Repression zu befragen (Brief aus dem Jahr 1878, 253 - 255).

Freilich erschöpfte sich Deublers Beziehung zu Schriftstellern nicht in der gesellschaftspolitischen Übereinstimmung. Der Genuß schöngeistiger Literatur hatte für ihn einen eigenständigen Wert. An Rosegger schrieb er:

"Ich danke Ihnen für den geistigen Genuß, den Sie mir und vielen Tausenden vorwärts strebender Menschen verschafft haben. Ihnen, Schlögl, Anzengruber und wie alle die heiligen Apostel der Kultur heißen, die Ihr im Vereine mit unseren Naturforschern, jeder in seiner Sphäre, bemüht seid, Humanität und Aufklärung zu verbreiten, Euch verdanke ich mein Glück und die volle Zufriedenheit an meinem schönen Lebensabend" (312).

Wo liegen Deublers Grenzen? Weshalb sind wir gut beraten, ihn nicht zu aktualisieren, gar zu heroisieren, sondern ihn in seinem historischen Rahmen zu belassen und ihn möglichst gerecht zu würdigen? Um Deublers innere Schranken aufzuzeigen, seien einige charakteristische Briefzitate zusammengestellt:

Ohne jeden Scherz nennt er Haeckel "Oberpriester im Tempel der Wahrheit" (156). Und, an ihn gewandt, heißt es:

"Was einem wahrhaft frommen Christen sein Katechismus – Gott und seine Heiligen sind, das sind Sie mir! Feuerbach ist mir gestorben; ‘denn auch Götter müssen sterben und er war mehr’. Jetzt müssen Sie mir meinen dahingeschiedenen Freund und Lehrer ersetzen." (158) Und die darwinistisch orientierten Naturwissenschaftler verherrlicht er als "die Priester und Evangelisten der allmächtigen Natur, die Anbeter der allmählich sich entschleiernden Wahrheit, die Bekämpfer der durch Mystizismus und Unwissenheit maskierten Lüge!" (177)

In der Naturwissenschaft allgemein will er den "wahren Heiland und Erlöser der Menschheit" (192) sehen. "Nur die Naturwissenschaft allein wird die siegreiche Bahn der künftigen Jahrhunderte sein, die den Menschengeist von Kirchenstreitigkeiten und von den überkommenen Wahnvorstellungen früherer Jahrhunderte erlösen wird." (352) Und als vorerst letztes Zitat zur diesem Themenfeld Naturwissenschaft:

"Ebenso wie mir die theologische Pfafferei verhaßt ist, so verabscheue ich die rabulistische Professoren-Philosophie und Erzschelmerei – im Grunde sind beide ein und dasselbe. Nach meiner Ansicht gibt es keine wahre Philosophie als diejenige der Naturerkenntnis; alles, was darüber oder darunter herausgeht, ist Geflunker, Schwindel bezahlter Hofnarren." (327)

Nüchtern müssen wir feststellen: Deubler mißversteht die Wissenschaft, zumal die Naturwissenschaft, religiös. Darin dem Fortschrittspathos und dem Wissenschaftsglauben seines Jahrhunderts gänzlich verfallen, verklärt er ein menschlich-historisches Projekt, das nach dem Muster von Versuch und Irrtum arbeitet, zum Heilsbringer. Seine religiöse Rhetorik – durchgängig anzutreffen – ist keine bloße Äußerlichkeit, sondern drückt aus, daß sich bei ihm – trotz aller Aufgeklärtheit – religiöse Mentalitätsstrukturen erhalten haben.

Sein Mangel an Ideologiekritik, sein Mangel an Skepsis, sein Mangel an Dialektik, sein Mangel an Ambivalenzbewußtsein drücken sich auch aus in seinem persönlichen Verhalten zur Natur. Er schreibt an Haeckel:

"Wer sich so ganz in die Ideen eines Feuerbach und Haeckel hineingelebt und ihre Lebens- und Weltanschauung sich zu eigen gemacht hat, wie ich, der weiß auch, welche Zufriedenheit und Seligkeit es gewährt, diesen Standpunkt gewonnen zu haben, auf dem man so ganz in Harmonie steht mit der Natur und dem ganzen Universum." (195f.)

Nein! Hier verfällt Deubler einem harmonistischen Trugbild, einer schönfärberischen Selbsttäuschung, einer romantischen Naturschwärmerei. Denn unbeschadet aller tatsächlichen Einheit mit der Natur – ob wir ihrer bewußt sind oder nicht – ist das menschliche Naturverhältnis immer auch durch Fremdheit, Ohnmacht, Verzweiflung bestimmt. Bei Deubler fehlt das Doppelgesicht der Natur. Es fehlt das Disharmonische: der Insektenstich, der uns aus dem friedlichen Mittagsschlaf im Gras aufschreckt.

Besonders anstößig wird Deublers religiöse Bewußtseinsstruktur dort, wo sie zur Autoritätsgläubigkeit wird und an Personenkult grenzt. In einem Brief an Christian Radenhaus schreibt er nach der Lektüre von dessen Buch "Isis":

"Vorige Woche bin ich zum Schlusse des Buches gelangt. Da fühlte ich zum allerersten Male in meinem Leben eine selige Befriedigung, hinter der keine Frage, kein Wunsch oder Zweifel mehr störend lauerte. Ich habe jetzt einen Führer gefunden, der die Fackel des Lebens hellleuchtend mir voranträgt und dem ich nur zu folgen brauche." (Dez. 1866, 74)

Was bleibt zusammenfassend und abschließend zu sagen?

Unter schwierigen sozialen und bildungsfernen Umständen hat Konrad Deubler einen beachtlichen, ja bewundernswürdigen Beitrag im Kampf gegen Unwissenheit und Unterdrückung geleistet. Er ist eine erinnerungswerte Figur im Stafettenlauf der europäischen Aufklärung. Die zeitgenössischen Wissenschaften befragte er auf ihre Alltagsrelevanz, auf ihr weltanschauliches Sinnpotential. Dabei ging er allerdings einen wesentlichen Schritt zu weit, indem er die Naturwissenschaft zur Heilsbringerin verklärte.

Respekt vor Konrad Deubler, aber auch Kritik an ihm!

 

Konrad Deubler an Ludwig Feuerbach.

Dorf Goisern im Salzkammergut, den 23. Oktbr. 1862

Großer Mann! Verzeihen Sie einem Mann aus den untersten Schichten der menschlichen Gesellschaft, der es wagt, Sie mit einem Schreiben zu belästigen. Der Drang, Sie persönlich kennen zu lernen, bestimmte mich vorigen Monats, bis zu Ihrem stillen Asyl in Rechenberg zu reisen. Ich traf Sie aber leider nicht zu Hause.

Der freundliche Empfang von Ihrer Frau und Tochter hat unendlich wohltuend auf mich einfachen Naturmenschen eingewirkt, ich danke Ihnen herzlich für Ihre gute Aufnahme!

Ich wollte auf meiner Rückreise von Dresden, die ich durch Thüringen machte, noch einmal in Nürnberg einen Tag bleiben, um Sie zu sehen; aber Zeit und Geld vereitelten meinen schönen Plan. Ich habe ja durch die Gefälligkeit Ihrer Tochter Ihr Portrait bekommen und freue mich unendlich über diesen Besitz.

Da ich zu weit von einer Buchhandlung entfernt bin, so bitte ich Sie, das in Zukunft erscheinende Buch von Ihnen, das mir Ihre Tochter versprochen hat, ja gewiß zu schicken. Ob ich gleich arm bin, so habe ich zum Ankauf eines wahrhaft guten Buches immer Geld. Meine Bücher, worunter Ihr Werk "Wesen des Christentums", wurden mir im Jahre 1853 alle konfiszirt; seit vier Jahren habe ich mir Vogt, Ule, Moleschott, Buckle’s Geschichte der englischen Civilisation angeschafft. Diese Lektüre hat meinen Gaumen ganz verwöhnt. Besonders hat Buckle auf mich einen großen Eindruck gemacht; schade, daß der Tod an der Ausführung und Vollendung dieses großen Werkes ihn verhindert hat! Wie wäre es, wenn Sie es fortsetzten oder wenigstens eine Geschichte Deutschlands in diesem Sinne schrieben?

Der Geist, der alle jene Schriften durchweht, diesem habe ich es zu verdanken, daß ich gesund und zufrieden meine zweijährige Kerkerhaft in Brünn ertragen habe und selbst meine Verbannung in Olmütz, weit von meinen heimatlichen Bergen, von Weib und Kind ertragen habe. Ich habe Zeit genug gehabt, über die wichtigsten Wahrheiten des Lebens nachzudenken, ich habe die Schattenseiten des Lebens kennen gelernt und kann mit gutem Gewissen die Wahrheit unterschreiben, die Sie, großer Mann, einmal ausgesprochen haben, "daß noch nie eine Wahrheit mit Dekorationen auf die Welt gekommen, nie im Glanze eines Thrones, sondern stets im Dunkel der Verborgenheit unter Thränen und Seufzern geboren worden ist, daß noch nie die Hochgestellten, daß nur die Tiefgestellten von den Wogen der Weltgeschichte ergriffen werden." Ich sah Hunderte an meiner Seite, verzweifelnd an Allem, fluchend ihr Leben endigen, waren aber doch die besten Christen und Gläubigen. Meine naturwissenschaftliche Anschauung sah in diesen armen Menschen nur die Opfer eines Jahrtausende alten Wahnes.

Doch nun genug von dieser für mich so traurigen Zeit! Sollten einmal Sie oder einer Ihrer Freunde eine Reise in unser jetzt von so vielen Tausenden von Fremden besuchtes Salzkammergut machen, so bitte ich Sie herzlich, mich zu besuchen; Sie könnten auch bei mir wohnen und sich aufhalten, von meinem Dorfe aus können wir die herrlichsten Bergpartien machen.

Seien Sie nicht böse, edler Menschenfreund, daß ich es gewagt habe, an Sie zu schreiben und auch auf einen Brief von Ihnen zu hoffen. "Nur Lumpe sind bescheiden!" sagte Goethe.

Grüße Sie und Ihre Frau und Tochter recht herzlich und danke noch einmal für die freundliche Aufnahme. Leben Sie wohl Konrad Deubler

 

Deubler an Haeckel

Dorf Goisern im Salzkammergut, 10. (oder 12.) Jan. 1874.

Lieber guter Doktor!

Verzeihen Sie einem ungebildeten Landmann, daß ich trotz meiner Fehlerhaftigkeit an Stil und sonstiger Schreibart es wage, an Sie zu schreiben.

Ich habe im vorigen Herbst beim Holzhauen im Walde meinen Fuß mit der Axt bedeutend verletzt und muß vielleicht in Folge dessen bis zum Frühjahr das Zimmer hüten. Bei dieser Gelegenheit habe ich Zeit genug zum Lesen und über das Gelesene auch nachzudenken. Obwohl ich mich bei meiner niedrigen Lebensstellung im Kampf ums Dasein tüchtig herumbalgen muß, so habe ich mir doch in der Länge der Zeit einige philosophische und naturwissenschaftliche Bücher angekauft ~ noch lange vor dem für mich so verhängnisvollen Jahr 1848 ~ Feuerbach’s "Wesen des Christenthums", seine "Gedanken über Tod und Unsterblichkeit" ~ später auch Roßmäßler’s "Mensch im Spiegel der Natur".~ Diese und ähnliche Schriften haben meine ganze Welt- und Gottanschauung umgewandelt. Ich machte kein Hehl daraus und erklärte öffentlich meine Ansichten. Im Jahre 1853 wurde ich wegen Religionsstörung und Verbreitung gotteslästerlicher, schlechter Bücher, wie Alexander Humboldt’s "Ansichten der Natur", Roßmäßler’s Schriften und der ganz besonders schlechten Schriften von Feuerbach und D. Strauß Leben Jesu u. s. w. gefangen genommen. Meinem Buchhändler Fink in Linz wurde von der Polizei das Hauptbuch abgenommen; da fanden denn die Untersuchungsrichter, daß ich im Verlauf der letzten Jahre um 1800 Gulden (Ö. W.) Bücher gekauft hatte. Jetzt kam die große Frage an mich: wem ich alle diese schändlichen Bücher verkauft hätte. Zum Glück waren kurz vorher mehrere Familien nach Amerika ausgewandert; ich gab vor, daß ich die Bücher an diese verkauft hätte und so unglaublich diese Angabe erschien, so blieb ich dabei. Nach anderthalbjähriger Untersuchungshaft lautete das über mich gefällte Urtheil: zwei Jahre schweren Kerkers in Brünn.~ Dazu kam dann noch die Internirung in Olmütz.~ Vier Jahre ward ich meiner Heimat entrissen.

Aber was konnten sie einem Menschen anhaben, der die Werke Feuerbach’s, namentlich seine Gedanken über den Tod und Unsterblichkeit gelesen? Ich war immer gesund und wohlauf. Im Jahre 1857 wurde ich in Folge meiner Amnestie wieder frei. Später wurde ich von meiner Gemeinde zum Bürgermeister erwählt. Nach meiner Freilassung machte ich eine Reise zum Feuerbach nach Nürnberg, um diesen großen, muthigen Denker persönlich kennen zu lernen. Später kam er zu mir nach Goisern auf einige Monate zu Besuch; wir schlossen Freundschaft bis zum Tode. Kurz vor seinem Ableben habe ich ihn noch auf Rechenberg besucht. Mir war er unersetzlich! ~

Da ich, wie ich schon im Anfang dieses Schreibens erwähnte, das Zimmer hüten muß, so habe ich an alle meine Heiligen gedacht und ihre welterobernden Schriften, die ich besitze, durchgelesen, so auch Ihre "Natürliche Schöpfungs~Geschichte" 3. Auflage. Mich hat diese Schrift so begeistert, daß ich unmöglich es unterlassen kann, Ihnen dafür zu danken. Mit meinem herzlichen Dank verbinde ich aber zugleich die Bitte, Sie möchten mir, wenn möglich, Ihre Photographie oder sonst ein Bild von Ihnen senden. Dünkt Ihnen meine Bitte unbescheiden, so verzeihen Sie dem einfachen Landmann, der Sie als einen der größten Naturforscher unserer Zeit so innig verehrt und hochachtet! Nach meiner Ansicht ist nur die Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse im Stande, uns Menschen würdigere, bessere Zustände herbeizuführen. Der längst dahingeschiedene Roßmäßler gab einst eine Zeitschrift heraus: "Die Heimat" ~ ich verbreitete in meiner Gemeinde mehrere Exemplare ~ die Folge davon war, daß wir hier in Oberösterreich die einzige paritätische Gemeinde sind, die eine konfessionslose Schule durchgesetzt hat. Da hat aber unser evangelischer Geistliche eine größere Opposition gemacht als der katholische.

Also noch einmal meinen herzlichen Dank für Ihr so herrlich geschriebenes Buch! Diese Schrift ist eine weltgeschichtliche That.

Damit Sie einen schwachen Begriff von meiner schönen Heimat sich machen können, lege ich Ihnen eine Ansicht vom Gosau~See bei, mit dem Dachstein im Hintergrund und dem Eisfeld.

In der Hoffnung, daß Sie meine Bitte nicht übel aufnehmen,

zeichne ich mich achtungsvoll

Konrad Deubler

im Dorf Goisern bei Ischl.

aus: Konrad Deubler. Tagebücher, Biographie und Briefwechsel, hg. v. Arnold Dodel-Port, Zweiter Teil, Leipzig 1888, 2. Aufl., S. 25-27; 146-148

Vortrag beim ersten Konrad-Deubler-Symposium 1997 in Bad Goisern/Österreich

Dr. Dr. Joachim Kahl lebt als freiberuflicher Philosoph in Marburg.
Im Internet finden Sie seine Homepage unter www.kahl-marburg.de

 


 

Bleistiftzeichnung, gez. von Deublers Freund J. Seinbrecher (um 1855)
Lageplan von Bad Goisern

 


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